Veröffentlicht am 6. Dezember 2021
Die Auflösung der Geschlechter
„Trans I Got Life“, die neue Dokumentation der Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz, ist ein Plädoyer für Freiheit, Selbstbestimmung und mehr Toleranz im Miteinander und eröffnet die gesellschaftliche Debatte über eine Welt, in der Geschlechter nicht mehr festgeschrieben sind.
„Man muss keine männliche Identität haben, bloß weil man einen Penis hat. Und wer mit einer Vagina auf die Welt kam, muss keine weibliche Identität haben“, sagt Dr. Marci Bowers. Die amerikanische Gynäkologin und Chirurgin ist so etwas wie ein Rockstar der Trans-Community. Talk-Show-Queen Oprah Winfrey lud sie in ihre Sendung ein, Bowers war zu Gast im TV-Nachrichtenmagazin CBS Sunday Morning und beim internationalen Sender Aljazeera. US-Medien nannten sie in Anlehnung an eine der bekanntesten US-amerikanischen Malerinnen des 20. Jahrhunderts die „Georgia O’Keeffe of Genitalia“ oder – übersetzt ins Zeitalter der Popmusik – die „Beyoncé Of Bottom Surgery“.
Sie ist eine der Protagonist:innen des Dokumentarfilms „TRANS – I Got Life“ und vielleicht auch deswegen so beeindruckend, weil sie weltweit die erste Frau ist, die sich als Medizinerin auf die geschlechtsangleichende Operation Mann-zu-Frau spezialisiert und diese auch selbst durchlebt hat.
Die Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz begleiten in ihrer Doku Menschen, die sich entschieden haben, einen Weg abseits von Geschlechternormen zu gehen und erlebten an ihrer Seite „wie krass und ausgrenzend die Bipolarität unserer Welt ist, an der sich trans Frauen und trans Männer auf ihrer radikalen Suche nach dem Ich abarbeiten müssen.“
Da ist zum Beispiel Oberstleutnant Elisabeth Sophia Landsteiner, früher Bataillonskommandeur in der Heeresflugabwehrtruppe, heute militärische Gleichstellungsbeauftragte des Ausbildungskommandos, die sagt: „Rein rechtlich kann einem heute nichts mehr passieren in der Bundeswehr. Menschlich schaut es anders aus.“ Oder Conny, eine motorsportverrückte Frau mit eigener Autowerkstatt, die Behandlungskosten in Höhe von 400.000 Euro für ihr Glücklichsein aufbringen musste. Julius, Singer-Songwriter, Busfahrer und Cafébesitzer, der erzählt, dass sein Körper und er früher rein gar nichts miteinander zu tun hatten. Instagram-Fan Jana, die sich ihrer Identität schon mit drei Jahren sicher war oder Mik, zweimal Eishockey-Weltmeisterin und inzwischen Trainer der tschechischen Frauen-Nationalmannschaft, der heute zwar mehr Kraft aber verlernt hat, zu weinen.
„Wir haben uns in der Annäherung ans Transsein erzählerisch für eine Doppelperspektive entschieden: auf der einen Seite die modernen Gender-Nomaden mit ihren Biografien, ihrem Lebenswillen, ihrer Lust“, so die Regisseurinnen. „Und auf der anderen Seite die Chirurg:innen, die mit ihrer Kunst die körperliche Transition ins andere Geschlecht erst möglich machen. Ihr OP wird zum modernen Kreißsaal, in dem quasi die Neugeburt stattfindet.“
Dr. Marci Bowers, die mehr als 2.000 primäre geschlechtsangleichende Vaginoplastik-Operationen durchgeführt und Menschen bei solchen Neugeburten begleitet hat, sieht folgendes Problem in der Gesellschaft. „Wir sind viel zu sehr auf Geschlechter fixiert, trennen sie voneinander und verstärken die Unterschiede auch noch dadurch, dass wir uns unterschiedlich kleiden, die Haare unterschiedlich tragen, Geschlechterrollen und Erwartungen erfüllen. Dabei teilen Männer und Frauen sich ganze 99,7 Prozent ihrer DNA.“ Ihre Zukunftsvision: „In 1.000 Jahren werden wir zurückblicken und uns fragen, warum wir bei der Geburt nur zwei Möglichkeiten zugelassen haben. Die Auflösung der Geschlechter ist Teil der Evolution.“
Text: Theresa Hallermann
Und wann und wo kann ich die Dokumentation nun gucken?
TRANS – I Got Life lief bislang erst in wenigen Programmkinos. Wir würden uns wünschen, dass TRANS – I Got Life und seine Protagonist:innen viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Deswegen: Sprecht gerne Kinos in eurer Nähe auf den Film an.
Hier schon mal der Trailer für euch: