Veröffentlicht am 11. Oktober 2021

Rainbow Check

Wie bunt ist Christian Lindner?

Politik

Seine Stunde kam, als die dunkelste seiner Partei schlug: Nachdem die FDP bei der Bundestagswahl 2013 an der Fünfprozenthürde gescheitert war, richteten sich viele Augen auf den Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, der die Partei dort erst kürzlich zurück in den Landtag geführt hatte. Lindner hatte Erfolg: Schon 2017 zog die FDP wieder in den Bundestag ein und führte Koalitionsverhandlungen, die er spektakulär platzen ließ. Nun ist es wieder so weit: Eine neue Koalition wird kaum ohne Lindner und die FDP möglich ein. Was bedeutet das für Diversität und Nachhaltigkeit?

Regierungsämter hatte der 1979 geborene Politikwissenschaftler Christian Lindner bisher nicht inne, weshalb sich seine Positionen nicht daran festmachen lassen, wie er im Amt handelt. Sein Lieblingsthema bei Äußerungen vor dem Parlament und bei anderen Gelegenheiten ist die Wirtschaft, was für einen FDP-Politiker wenig überraschend ist. Zu sozialen Fragen äußert sich Lindner eher wenig. Allerdings gibt es noch das Wahlprogramm der FDP, deren Bundesvorsitzender er ist.

 

Porträt des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner auf einer Wahlkampfveranstaltung. im Juli 2021
Wahrscheinlich schon bald in einem Ministeramt: FDP-Bundervorsitzender Christian Lindner. (Foto: Michael Lucan/Creative Commons)

LGBTQ-Rechte

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten die Freien Demokraten einen Gesetzesentwurf für eine Neufassung des so genannten Transsexuellengesetzes eingebracht. Dieser Entwurf sollte mehrere als übergriffig und diskriminierend empfundene Regelungen abschaffen und es Transsexuellen ermöglichen, wesentlich leichter eine offizielle Geschlechts- und Namensänderung zu beantragen und erhalten. Der Entwurf scheiterte damals an den Gegenstimmen der CDU/CSU/SPD-Koalition. Wenn ein etwaiger Bundeskanzler Olaf Scholz, wie bereits versprochen, ein neues Transsexuellengesetz verabschieden würde, hätte er sicher nicht nur den Segen der Grünen, sondern auch den der FDP.

Auch in ihrem Wahlprogramm macht sich die FDP für die Rechte von LGBTQ-Menschen stark und fordert die Abschaffung diskriminierender Gesetze und die Bekämpfung von LGBTQ-feindlichen Strömungen im Ausland.
 

Ethnische Gleichstellung

Kräftigen Gegenwind gab es für Christian Lindner, als er auf dem FDP-Parteitag im Jahr 2018 Folgendes sagte: „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.“ Daraufhin wurde ihm Rassismus vorgeworfen, oder dass er versuchen würde, AfD-Stimmen abzugraben, indem er ihre Themen und Szenarien übernehme. Worauf er eigentlich hinauswollte ist, dass Deutschland eine kontrollierte Zuwanderung von gebildeten, qualifizierten Menschen brauche. Das kann man so sehen oder in Zeiten von künftig vermehrten Fluchtbewegungen für realitätsfern halten. Aus dem Zitat spricht jedenfalls eine bekannte Haltung der FDP und von ihm selbst: Zuwanderung ja, aber wir möchten bitte aussuchen, wer kommt, damit die Einwanderer:innen uns nützlich sind.

Entsprechend fordert das Wahlprogramm der FDP, Einwanderung in den Arbeitsmarkt dem aktuellen Fachkräftebedarf anzupassen. Kriegsflüchtlinge sollen aus dem üblichen Asylverfahren ausgekoppelt werden und ein Bleiberecht für die Dauer des Krieges erhalten. Danach sollen sie in ihre Heimat zurückkehren.
 

Religionsfreiheit

Beim Thema Religion ist Christian Lindner voll und ganz Liberaler, wie er etwa in einem Interview mit Zeit Online zu verstehen gab. Insgesamt vertritt er in gesellschaftlichen Fragen sehr offene, progressive Positionen, wie es auch die FDP tut. Das bedeutet einerseits, dass Lindner immer wieder betont, niemand dürfe wegen seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert werden. Auf der anderen Seite führt seine rationalistische Sichtweise auch dazu, dass er religiöse Gefühle nicht immer zu schonen bereit ist. So ist er zwar gegen ein Verbot von Kopftüchern in der Grundschule, deshalb aber noch lange nicht für das Tragen derselben.
 

Geschlechtergerechtigkeit

Christian Lindner hat sich bereits mehrfach gegen Frauenquoten ausgesprochen – als Vorsitzender einer Partei, der immer wieder bescheinigt wird, sie hätte ein Frauenproblem, was die Besetzung von Parlamentsfraktionen und Ämtern betrrifft. Der Bild sagte er, die Mehrheit der Frauen in der FDP seien gegen eine Quote. Im Jahr 2017 versuchte er gar, den NRW-Landtag zu einer gemeinsamen Verfassungsklage gegen Frauenquoten zu bewegen. Angesichts der Tatsachen, dass Frauen an Universitäten die Mehrheit darstellen und die besseren Abschlüsse machen, so Lindner, bräuchte es keine Frauenquote, denn Frauen würden künftig aus eigener Kraft bald in Vorstände und Aufsichtsräte drängen.

Wenn die FDP in ihrem Wahlprogramm von einem „Liberalen Feminismus“ spricht meint sie also genau dies: „Rechtsgleichheit aller Geschlechter“, also keine Besserstellung von Gruppen, die bisher eher diskriminiert wurden. Dies entspricht dem alten FDP-Mantra, nach dem der Markt schon alles regele.
 

Inklusion von Menschen mit Behinderungen

In ihrem Wahlprogramm fordert die FDP den konsequent barrierefreien Ausbau öffentlicher Räume, freie Wohnortwahl für Menschen mit Behinderungen bei vollen Sozialleistungen und weitere, durchaus progressive Schritte. Dort schreibt die Partei etwa: „Die über 300.000 Beschäftigten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen bilden ein großes und zu wenig berücksichtigtes Potential für den ersten Arbeitsmarkt. Wir wollen ihre Chancen auf eine reguläre Beschäftigung verbessern.“ Die FDP unter Christian Lindner hat also durchaus erkannt, dass Inklusion auch der Allgemeinheit zugute kommt.
 

Umweltschutz

„Erfinden statt verbieten“ - so lässt sich das Mantra von Christian Lindner und seiner Partei zusammenfassen und dieser Satz war auch im Wahlkampf vor der Bundestagswahl ein gern benutzter Slogan. Lindner ist gegen die Subvention von Elektroautos und einen zügigen Abschied vom Verbrennungsmotor. Seine Partei setzt darauf, dass Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen die richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels entwickeln, während die Politik durch schrittweise Verteuerung von CO2-Emissionen langsam den Druck erhöht. Expert:innen wie der Nachhaltigkeitsforscher Prof. Ortwin Renn halten dies für nicht ausreichend. Proteste der Bewegung Fridays For Future kommentierte er abschätzig und befand, der Kampf gegen den Klimawandel sei „eine Sache für Profis“. Kinder und Jugendliche, so Lindner, könnten noch nicht „alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“. Dabei ließ er außer Acht, dass die Bewegung das auch nie behauptet hat, sondern schlicht auf die Dringlichkeit von Veränderungen zum Schutz vor dem Klimawandel hinweist und diese fordert.
 

Fazit

Christian Lindners Bilanz in Diversity- und Umweltthemen fällt zwiespältig aus. Trotz einer durchaus progressiven Einstellung zu den meisten gesellschaftspolitischen Themen – etwa in Bezug auf die Rechte transsexueller Menschen – ist in anderen Bereichen noch deutlich Luft nach oben. Menschen anderer Herkunft scheint er vor allem nach ihrem Wert für den Arbeitsmarkt zu beurteilen. So sehr sich die FDP im Wahlkampf außerdem als Klimaschutzpartei profilieren wollte: Lindners eigene Äußerungen lassen erheblichen Zweifel aufkommen, ob ihm die Dringlichkeit von einschneidenden Maßnahmen bewusst ist.
 

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