Veröffentlicht am 14. September 2021
Wie bunt ist Annalena Baerbock?
Als sie im Januar 2018 zusammen mit Robert Habeck in den Bundesvorstand der Grünen berufen wurde, war Annalena Baerbock noch weitgehend unbekannt. Dabei war sie bereits klimapolitische Sprecherin ihrer Fraktion gewesen und hatte bei den gescheiterten Verhandlungen zur Jamaika-Koalition mitgewirkt. Jetzt soll sie für die Partei sogar das Kanzleramt übernehmen. Wofür steht die gebürtige Hannoveranerin in Diversitäts- und Umweltfragen?
Die 1980 geborene Politologin und Völkerrechtlerin Annalena Baerbock war bislang noch nie an einer Regierung beteiligt, insofern lassen sich ihre Positionen nicht an ihrem Handeln im Amt bestimmen. Als Bundesvorsitzende der Grünen repräsentiert sie aber das Wahlprogramm ihrer Partei und das erst im November 2020 verabschiedete neue Grundsatzprogramm (PDF) der Grünen.

LGBTQ-Rechte
In ihrem jüngsten Grundsatzprogramm fordern die Grünen wiederholt gleiche Rechte für alle Geschlechter – wobei inter-, und transsexuelle sowie nichtbinäre Menschen hierbei explizit erwähnt werden. Hierzu heißt es: „Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Verwirklichung von Frauen- und Minderheitenrechten, wie zum Beispiel den Rechten von inter- und transgeschlechtlichen Menschen, der Schutz vor geschlechtsspezifischer, rassistischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt, Verfolgung und Diskriminierung … sollen die internationale Politik leiten.“
Ethnische Gleichstellung
Die Grünen machen sehr deutlich, dass sie Deutschland als multikulturelles Land und als Einwanderungsland sehen. Im Grundsatzprogramm heißt es: „In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben Christ*innen, Jüd*innen, Muslim*innen, Angehörige anderer Religionen und nicht religiöse Menschen genauso wie Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten.“ Die vielfältige Gesellschaft wird von den Grünen also als längst Bestand habende Wirklichkeit anerkannt. Migranten, die fünf Jahre lang „geduldet“ waren, sollen ein sicheres Bleiberecht in Deutschland erhalten.
Religionsfreiheit
Das Grundsatzprogramm der Grünen sieht den Schutz jüdischen Lebens als Aufgabe der deutschen Gesellschaft, erkennt den Islam als Teil des Landes und fordert den Schutz der Sprache und Kultur von Menschen mit Romani-Hintergrund. Annalena Baerbock selbst äußerte sich nach antisemitischen und anti-israelischen Demonstrationen und Ausschreitungen im Mai 2021 entsetzt: "Antisemitische Angriffe, das Verbrennen von israelischen Fahnen, Hass und Hetze auf Menschen mitten unter uns, das ist nicht Teil des demokratischen Diskurses, sondern das ist ein Angriff auf die Menschenwürde, egal von wem oder woher er kommt".
Geschlechtergerechtigkeit
Annalena Baerbock ist für die Streichung des Paragrafen 219a, die es Ärzten verbietet, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Als Werbung wird hierbei schon das bloße Bereitstellen von Informationen, etwa auf der eigenen Homepage, betrachtet, wie der aufsehenerregnde Fall der Ärztin Kristina Hänel vor einigen Jahren deutlich machte. In einem Interview mit der Emma sagte Baerbock hierzu: „Es geht um Informationsfreiheit für Ärztinnen. Die Vorstellung, man verhindert Abbrüche, wenn Frauen sich möglichst schlecht informieren können, ist doch absurd.“ Im Jahr 2019 forderte sie ein „feministisches Jahrzehnt“, an dessen Ende im Jahr 2030 etwa alle Parlamente gleichberechtigt besetzt sein sollten, hierzu wollte sie gar ein eigenes Gesetz schaffen.
Umweltschutz
Der Klimaschutz ist das Hauptthema des grünen Wahlprogramms, in Umweltfragen ist Annalena Baerbock entsprechend deutlich ambitionierter als ihre Mitbewerber um das Kanzleramt. Sie fordert, bis zum Jahr 2030 den Kohleausstieg vollzogen zu haben und spätestens dann nur noch emissionsfreie Autos neu zuzulassen. Sie will außerdem den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie fördern, wie sie der taz verriet. Kurzstreckenflüge will sie durch den Ausbau der Bahn überflüssig machen, landwirtschaftliche Subventionen umstrukturieren und Fleischproduktion reduzieren. Welchen Stellenwert das Thema bei ihr genießt, machte Baerbock in einem Interview mit dem Stern deutlich: "Klimaschutz - ohne Wenn und Aber. Sonst ist alles andere hinfällig."
Fazit
Bei aller Aufmerksamkeit, die nun auf ihr liegt: Annalena Baerbock ist, verglichen mit den anderen Kandidaten um das Kanzleramt, politisch noch ein wenig beschriebenes Blatt. Das große Thema der Grünen und auch von Annalena Baerbock ist der ökologisch-soziale Umbau der deutschen Wirtschaft im Zuge des Klimaschutzes. Auch zum Thema Geschlechtergerechtigkeit ist von ihr Einiges zu hören, bei anderen Diversitätsthemen indes ist durchaus noch Luft nach oben – was allerdings kein Grund ist, ihr mangelndes Wohlwollen zu unterstellen. Der Klimaschutz dominiert zurzeit schlicht und einfach die Diskussion.
Text: Christian Zeiser