Veröffentlicht am 17. Oktober 2021

Design

Menarchenkelch und Spiegelsitz

Ausstellung

Das berühmte Museum of Alternate History zeigt in seiner Ausstellung „Helena bis Maria“ gut erhaltene Artefakte eines nur Wenigen bekannten Matriarchats. Herzstück ist der Menarchenkelch der Kaiserin Helena von Willendorf-Österreich III.

Rainbow World zeigt exklusiv die herausragendsten Objekte.

Kommt euch jetzt irgendwas seltsam vor? Fragt ihr euch, warum der praktische Spiegelsitz nicht längst modernisiert in jedem aufgeklärten Haushalt zu finden ist und warum ihr eigentlich kein Blutmedaillon eurer Ur-Ur-Ur-Großmutter zu vererben habt? Richtig – weil es das alles nämlich gar nicht gibt. Übrigens auch kein berühmtes "Museum of Alternate History". All diese wunderbaren Objekte  hat Paulina Heinz entworfen. Die 24-jährige studierte Produktdesign an der Universität der Künste in Berlin. Für ihre Bachelorarbeit hat sie die Vergangenheit neu erfunden. Menarchenkelch, Bazillen-Schale und Menstruationsklecksografie entstammen einem fiktiven Matriarchat.

"ICH MÖCHTE DURCH DESIGN DENKANSTÖSSE GEBEN"

Paulina Heinz hätte auch einfach nur ein schickes Möbelstück designen können. Eine Hutablage zum Beispiel oder ein Schuhregal. Oder irgendetwas anderes Praktisches. Heinz hingegen entschied sich für das Themenfeld "Design-Fiction" und reichte eine feministisch motivierte Arbeit ein. "Es ist schon ein ganz schöner Spagat, den ich da mache", sagt sie. Zwischen der vermeintlich oberflächlichen, kommerziell getriebenen Produktdesign-Welt und ihrer eigenen Persönlichkeit, die eben mehr will als nur ein schönes Schuhregal. Heinz: "Ich möchte mit Design zum Denken anregen und verschiedene Welten verbinden." So überträgt sie zum Beispiel Sara Ahmeds queer-feministische Arbeit der Queer Phenomenology auf die Themen Gestaltung und Design. Stark abgekürzt: Sara Ahmed sieht Desorientierung als Notwendigkeit für eine Reflexion von Werten und Normen und für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung. "Auch ich hoffe, bei den Betrachter:innen meiner Arbeit einen Moment der Desorientierung hervorzurufen", sagt Paulina Heinz. "Sie kann uns helfen, Gewohnheiten und gesellschaftliche Normen kritisch zu betrachten und zu hinterfragen."

"VAGINALHYGIENE UND PERIODENBLUT SOLLEN KEINE TABUS SEIN"

Mit dem Patriarchat, das uns ja alle noch immer prägt, haben Heinz' Objekte nichts zu tun. Deswegen ist ihre Mission wahrscheinlich geglückt – oder wollt ihr leugnen, beim Klicken durch die Ausstellungsobjekte ein ganz kleines bisschen verwirrt gewesen zu sein? Alle Objekte kritisieren die Unterwerfung und Disziplinierung des weiblichen Körpers, die Tabuisierung, die Sexualisierung, die Zuschreibung der Sündhaftigkeit und den Ekel, mit dem Teile des weiblichen Körpers leider noch immer assoziiert werden. Statt eines Handspiegels, der in der Schublade verschwindet, nutzten Frauen in Heinz' Parallelwelt den Spiegelsitz, um ihre Genitalien zu betrachten. Für den Erhalt einer gesunden Vaginalflora gab es die an ein heutiges Nassrasur-Set erinnernde Bakterienschale samt Echthaarpinsel und statt beim Bleigießen orakelte frau ihre Zukunft anhand der Spuren ihres Menstruationsblutes. "Vaginalhygiene und Periodenblut sollten kein Tabu sein", sagt Heinz, die sich selbst als Feministin bezeichnet. "Wir sollten Weiblichkeit mit all ihren Facetten feiern." Wir finden: Genau das tut ihre beeindruckende Arbeit.

 

Text: Theresa Hallermann

 

Designerin Paulina Heinz, gekleidet in eine schwarze Hose und einen schwarzen Blazer, sitzt breitbeinig auf einem Stuhl. Der Stuhl steht vor einem Eisengeländer auf einem Balkon. Im Hintergund sind viele grüne Laubbäume zu sehen, durch die sich das Sonnenlicht seinen Weg bahnt.
Designerin Paulina Heinz, Foto: Dreysse.com

Paulina Heinz, 24, studierte Design an der Universität der Künste Berlin. Derzeit lebt sie in Kopenhagen und arbeitet im Rahmen eines Praktikums für das Architektur- und Designstudio Archival Studies. In ihrer Freizeit zieht es sie in die Natur, außerdem kocht sie gern und praktiziert Yoga.