Veröffentlicht am 3. Februar 2022
Wie viel Vielfalt brauchen wir in Film und Fernsehen?
Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die großen Impact auf uns haben – eine Begegnung, eine Beobachtung oder auch einfach ein Gedanke, der uns zufliegt. In den "Notes" schreiben Mitwirkende der Rainbow World über Themen, die sie einfach mal ansprechen wollen. Weil sie ihnen eben gerade auf dem Herzen liegen. Diesmal: Theresa Hallermann, Mitgründerin der Rainbow World.
Es war im Jahr 2000, ich war noch 18 oder schon 19 Jahre alt, hatte mich nach vielen Jahren des Hinterfragens und immer wieder Hoffens, es möge doch bitte nur eine Phase sein, gerade erst vor Freund:innen und Familie als lesbisch geoutet. Und ich hatte Lust auf Kino. Insbesondere weil in einem Hamburger Programmkino Women Love Women gezeigt wurde. Riesennamen auf der Leinwand: Vanessa Redgrave, Michelle Williams, Chloë Sevigny, Sharon Stone, Ellen DeGeneres. Als lesbische Frauen, die in drei Episoden dreimal lesbisches Leben erzählen. Davon, wie es ist, wenn nach einer jahrzehntelangen Beziehung eine stirbt und derjenigen, die bleibt, nichts mehr bleibt. Von feministischen Studentinnen, die mit Geschlechterrollen hadern. Oder von Express-Spermalieferungen für das Paar mit Kinderwunsch. Ich fragte meine Schwester, ob sie Lust hätte, den Film mit mir anzuschauen und sie sagte: „Nee, lass mal was anderes gucken. Ist jetzt inhaltlich nicht sooo spannend für mich.“ Ich habe ihre Antwort einfach hingenommen und war noch nicht einmal besonders enttäuscht.
Ich feiere jede Bemühung, Diversität ins Fernsehen zu bringen
Ich weiß nicht mehr, ob mich jemand anderes ins Kino begleitet hat oder ob ich den Film später zum ersten Mal auf DVD gesehen habe. Woran ich mich aber ziemlich genau erinnere, ist das gute Gefühl, mit „Women Love Women“ zum ersten Mal einen Film zu gucken, der Rolemodels für mich im Angebot hatte. Einer Geschichte zu folgen, die Identifikation zugelassen hat, ohne dass ich gezwungen war, vorher verkrampft um Ecken zu denken. Was im Übrigen nie gut funktioniert hat: Wer zum Beispiel konnte ich, eine lesbische Cisgender-Frau, in Titanic sein? Leonardo Di Caprio, weil ich lieber Kate Winslet geküsst hätte als ihn? Schwierig. Erst mit der Erfahrung, wie viel toller Filmegucken für mich war, allein durch den Umstand die eigene Sexualität widergespiegelt zu sehen – und zwar in Fiction-Formaten und nicht nur in Dokus oder trashigen Talkshows – wurde mir klar, was meine Schwester damals meinte. Und gleichzeitig, dass ich aus Mangel an Alternativen jahrelang Filme geguckt habe, „die jetzt inhaltlich nicht sooo spannend für mich“ waren. Deswegen feiere ich jede Bemühung, Diversität ins Fernsehen zu bringen. Ob schwule Ermittler, ein Arzt im Rollstuhl oder die schwarze Kommissarin – es tut sich was. Zum Glück. Und zwar nicht nur in Off-Filmen, die irgendwo unterm Radar laufen.
Vielfalt gehört gesehen – egal in welcher Dosis
Vor kurzem habe ich in der ARD-Mediathek mit Begeisterung die Serie Eldorado KaDeWe gesehen. Eine Bekannte von mir wollte meine Euphorie nicht teilen. Sie sagte, sie fände die Diversität darin „ein bisschen drüber“. Es wäre ja an sich gut und richtig, aber wäre es nicht ein bisschen zu gewollt und vielfaltsvollgestopft, die lesbische Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin, die einen Bruder hat, der eine schwarze Prostituierte liebt, und einer Frau zu erzählen, deren Mann einen Hinkefuß und deren Schwester das Downsyndrom hat? Hm. Ich finde nicht. Vielfalt gehört gesehen, egal in welcher Dosis – ein Zuviel kann es in meinen Augen gar nicht geben. In Amerika ist in diesem Jahr die neue Diversity-Verordnung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Kraft getreten. Filme, die sich für einen Oscar qualifizieren wollen, müssen gewisse Vielfaltskriterien erfüllen. Haupt- oder wichtige Nebendarsteller:innen sollen demnach einer ethnischen oder sexuellen Minderheit angehören. Sind die Hauptdarsteller:innen weiß und heterosexuell, müssen mindestens 30 Prozent der Darsteller:innen von Nebenrollen entweder weiblich sein oder ethnischen oder sexuellen Minderheiten angehören. Dieselbe Prozentregel gilt auch für das Team hinter der Kamera. Und inhaltlich muss der potenzielle „Beste Film“ Themen aufgreifen, die Minderheiten beschäftigen.
Die Welt war schon immer Bunt
Während die einen die Regeln überflüssig und doof finden und sie als eine die künstlerische Freiheit einschränkende Zwangsjacke bezeichnen, werden sie von anderen gefeiert. Ich gehöre zu Letzteren. Die Welt war schon immer bunt. Aber gezeigt wird das auf den Leinwänden erst so nach und nach. Und wenn eine Art Quote das beschleunigt, dann los! Ein bisschen ist in den vergangenen 20 Jahren aber zum Glück auch ohne solch einen Diversity-Druck passiert. Die sechs Staffeln der US-Serie The L-Word zum Beispiel, die in Amerika ab 2004 und in Deutschland ab 2006 ausgestrahlt wurden, fühlten sich für mich geradezu wie eine Erlösung an und so langsam scheint queeres Kino sogar in den Multiplex-Sälen anzukommen. Ich rufe jetzt mal meine Schwester an und frag, ob sie mit mir ins Kino geht.
Startseite/Teaser-Bild: © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács