Veröffentlicht am 14. April 2022
"Ist der Chef auch da?"
Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die großen Impact auf uns haben – eine Begegnung, eine Beobachtung oder auch einfach ein Gedanke, der uns zufliegt. In den "Notes" schreiben Mitwirkende der Rainbow World über Themen, die sie einfach mal ansprechen wollen. Weil sie ihnen eben gerade auf dem Herzen liegen. Diesmal: Anna Hesse, Mitgründerin der Rainbow World.
An alle business women da draußen, kennt ihr das auch? Ihr geht ans Telefon und die erste Frage des Gegenübers: „Ist der Chef da?“ – „Ja, ist dran.“ – „Oh.“ Ja: Oh! Surprise! Gerade gestern wieder. Seriously? Immer noch so überraschend, dass eine Frau den Laden schmeißt? Das Argument, dass Anrufer:innen nicht davon ausgehen, dass sie die oder den Chef:in direkt an der Strippe haben, lasse ich nicht ganz gelten, denn ich wurde noch nie nach „der Chefin oder dem Chef” gefragt.
Kurzes Telefonat große Wirkung. In meinem Kopf ploppten plötzlich diverse Szenen meiner Karriere auf, in denen man sich wohl wiederfindet, weil man weiblich und/oder jung ist.
Ich habe ziemlich früh angefangen, zu arbeiten. Freitag letzter Schultag, Montag 1. Tag Praktikum, dann Journalistenschule, anschließend Festanstellung als Redakteurin, dann superschnell etwas Verantwortung und viel Geld verdient. Mit 28 Vertrag gekündigt – hallo Unternehmertum! An dem Punkt kannte ich es bereits zu Genüge: unterschätzt zu werden. Nicht inhaltlich. Aber es wurde halt locker die ersten zehn Jahre meiner Berufstätigkeit oft wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich gerade erst aus den Startlöchern gekommen war. Mir wurden während meiner Zeit in Festanstellung beispielsweise diverse Jobs von anderen Verlagen angeboten. Fast alle mit indiskutablen Gehaltsvorstellungen – in Relation zu meiner Berufserfahrung/meiner Position, weil man davon ausging: jung = Einsteigerin. Altersdiskriminierung upside down. Da bekommst Du zum Beispiel einen konspirativen Anruf des (damaligen) Chefredakteurs eines Hochglanz-People-Magazins, der Dich persönlich bittet, vorbeizukommen. Alles klar. Du bist aufgeregt und denkst: Mal sehen, was er mir anbietet. Zumindest anhören kann man es sich ja mal. Bereitest Dich vor, nimmst Dir extra frei. Und dann bietet er Dir feierlich einen Einstiegsposten mit einem Jungredakteur:innengehalt an, das mehr als ein Drittel unter Deinem aktuellen liegt. Ja, nee, warum sollte man sich auch vor dem ganzen Aufriss die Mühe machen, sich mal schlau zu machen, in welcher Position „das Mädchen“ aktuell arbeitet. Fun fact: Er rief zwei Jahre später noch mal an, um mir ein nur slightly besseres Angebot zu machen. Manche lernen’s nie.
Apropos: „Mädchen”, „Mädels“. Sind meine Geschäftspartnerin Theresa und ich eigentlich die einzigen, die jenseits der 40 im Business-Kontext (gerne auch von älteren Herren) immer noch manchmal so genannt werden? Wir quittieren das, wenn's so richtig unpassend ist, einfach mit versteinerter Mine (wird verstanden und macht auch ein bisschen Spaß, die „Mädler“ so auflaufen zu lassen). Für mehr reicht unsere Empörung ehrlich gesagt nicht, als Kompliment geht’s aber auch nicht durch. Kommt ja wie bei vielem auch darauf an, wer es sagt. Aber allein das Wort #girlboss … als Pendant zum boy boss, oder wie?
Irritierender fand ich einen Termin als Jungunternehmerin, bei dem ein neuer Kontakt konsequent nur den (zugegebenermaßen wenige Jahre älteren) Praktikanten ansprach, weil er ihn zunächst für meinen Chef hielt. Viele Ärztinnen kennen das sicher auch („Schwester, wann kommt denn der Arzt?”).
Renommee statt Budget
Oder auch das Gespräch mit den Machern eines großen, renommierten Theaters in Hamburg, die uns für die Pressearbeit für ihr rundes Jubiläum anfragten und erst ganz am Ende – nach zwei vergeudeten Stunden plus Vorbereitung auf das Gespräch – auf Nachfrage damit rausrückten, dass es doch für unsere junge Agentur eine tolle Referenz und damit Lohn genug sei und sie deshalb kein Budget dafür eingeplant hätten. Null Euro. Dieses Referenz-Argument beim Honorardrücken kannten wir schon. Aber ernsthaft keinen Cent für einen umfangreichen Job eines in Teilen von der Stadt Hamburg finanzierten Kulturbetriebs zahlen zu wollen, ist indiskutabel. Ist ja schließlich kein wohltätiger Verein (pro bono für einen guten Zweck haben wir schon oft und gerne gearbeitet)!
Ach, ich wollte mich gar nicht so in Rage, sondern eher ein paar launige Zeilen schreiben. Aber am Ende ist es halt einfach nicht lustig, sondern aufregenswert. #Metoo-Momente habe ich hier bewusst ausgeklammert. Das würde den Rahmen sprengen.
Zum Schluss noch ein merkwürdiger Moment: Präsentation vorm Kunden (eine Runde von Ärzten) – kam gut an. Im Anschluss flüsterte mir der Professor rechts von mir zu: “Ich bin stolz auf sie.” War ganz bestimmt total lieb gemeint und habe ich auch so angenommen. Aber mal ehrlich.. fühlte sich mega-strange an. Ich bin sicher: Bei einem männlichen Berater wäre ihm diese Tonalität gar nicht in den Sinn gekommen.
Finden sich auch business people in solchen Situationen wieder, die nicht jung und/oder weiblich sind? Frage ehrlich interessiert. Also Für-Lau-Arbeiten-Anfragen ganz bestimmt – geschenkt. Aber dass die Praktikantin neben dir für die Geschäftsführerin gehalten wird oder am Telefon nach der Chefin gefragt wird?
Was mir abschließend wichtig ist: Situationen wie oben geschildert, sind zwar häufig passiert, machen aber nicht den Großteil meiner Erfahrungen aus. Ganz im Gegenteil. Ich habe mit vielen Kolleg:innen, Chef:innen (eine hat da eine ganz besondere Rolle gespielt – danke, Marion!) und Kund:innen gearbeitet, die mir auch in jungen Jahren sehr viel zugetraut haben.
Habt ihr auch Gedanken zum Thema Vielfalt im weitesten Sinne, die ihr gerne mit und bei uns teilen möchtet? Feel free to contact me: anna@rainbowworld.de. Aber fragt bitte nicht als Erstes nach meinem Chef!! ;-)