Veröffentlicht am 22. Oktober 2021

Musik

Über alle Grenzen: 20 Musiker:innen jenseits aller Gender-Normen

Identity

Die Erkenntnis, dass Geschlecht nicht dual, sondern ein Spektrum ist, ist gar nicht so neu, wie es manchmal scheint. Viele Musiker:innen haben das schon vor langer Zeit erkannt und begonnen, Gender-Stereotypen aufzubrechen. Kleidung, Stil, Auftreten folgen keinen klassischen Mustern mehr, sondern überschreiten selbstgewusst und vergnügt das, was Andere noch als Grenze empfinden. Rainbow World zeigt die inspirierendsten Beispiele.

T-Rex Sänger Marc Bolan während eines Auftritts mit geschlossenen Augen an der Gitarre

Marc Bolan

Im März 1971 trat eine junge Band namens T-Rex zum ersten Mal bei Top Of The Pops im britischen Fernsehen auf, Sänger Marc Bolan trug Glitzer und Seide, Make-Up und hochhackige Stiefel, als er ihren Hit „Hot Love“ sang. Der hatte mit seinem offensichtlichen Hedonismus nichts mehr gemein mit der Musik der vergangenen paar Jahre, ein neues Genre der Popmusik war geboren: Glam Rock. Mit seinem Look trat Bolan eine Welle los, die die Vorstellung von maskulinen Looks die ganzen Siebziger über und sogar noch darüber hinaus beeinflussen sollte.

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Sänger David Bowie als Ziggy Stardust auf der Bühne

David Bowie

„The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“ aus dem Jahr 1972 gilt als eines der besten Rock-Alben der Welt, und sein Schöpfer David Bowie brachte mit seinem kultivierten Image als bisexueller Superstar in Jumpsuit und hohen Stiefeln, mit „screwed-up eyes and screwed-up hairdo“, quasi im Vorbeihuschen das Genre des Glam-Rock zur Vollendung. Bowie sollte sich im Laufe seiner langen Karriere noch in viele weitere Bühnenfiguren verwandeln, doch Ziggy Stardust war die ikonischste von allen. Samt „god-given ass“.

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Schwarz-weiß-Aufnahme, auf der Bon Scott seitlich, tanzend und mit nacktem Oberkörper zu sehen ist.

Bon Scott

Im Jahr 1975 absolvierte eine junge Band namens AC/DC ihren ersten Auftritt im australischen Fernsehen. Ihr Genre: harter Blues-Rock, ihr Image: wilde Jungs. Als die Band den ersten Take des Blues-Klassikers „Baby Please Don't Go“ anstimmt und die Kamera Angus Young in Schuluniform an der Gitarre einfängt, passt auch das Bild noch zum Image. Doch dann gleitet Sänger Bon Scott ins Bild. Er trägt ein niedliches blaues Mädchen-vom-Land-Kleid, dazu eine blonde Perücke mit geflochtenen Zöpfen und blauen Lidschatten. Es ist bloß ein Gag, Scott hatte noch nicht einmal seine Bandkollegen eingeweiht. Es bleibt das einzige Mal, dass Scott in Frauenkleidern auftrat, doch sein Erscheinungsbild half sicherlich, AC/DCs „Alles nicht so ernst nehmen“-Image zu begründen.

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Freddie Mercury singt leicht zurückgelehnt in ein Mikrofon. Er trägt einen engen Glitzeroverall, dessen tiefer Ausschnitt den Blick auf dichtes Brusthaar offenbart. Die Aufnahme ist schwarz-weiß.

Freddie Mercury

Vom Macho in Jeans und Baumwollunterhemd über eng anliegende Spandex-Outfits und üppige, ausladende Kleidern bis hin zu vollumfänglichem Hausfrauen-Drag (dann aber bitteschön immer noch mit dem typischen Schnurrbart): Bei Queen-Frontmann Freddie Mercury durfte man mit jedem möglichen Outfit rechnen. Was immer er trug, er ließ es wirken wie das Normalste auf der Welt. Mercury sagte einmal über seine Band: „Wir sind Show. Wir sind näher an Liza Minelli als an Led Zeppelin.“ Bei einem Konzert in Montreal im Jahr 1981 sah er aus als käme er direkt vom Strand. Die Selbstverständlichkeit, mit der Mercury wirklich jedes Outfit trug, machte ihn zur unangefochtenen Stilikone der 70er und 80er Jahre. Anekdote am Rande: Einmal half er Prinzessin Diana, sich als Mann zu verkleiden, um mit ihr unerkannt in einen Club gehen zu können.

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Sängerin Grace Jones sing mit geschlossenen Augen in ein Mikrofon. Sie ist dabei leicht gebückt und eingedreht, das Bühnenlicht sorgt für weiße Outlines an ihrem schwarzen Anzug.

Grace Jones

Vor ihrer Karriere als Sängerin arbeitete Grace Jones bereits als Model und war für ihre Aufsehen erregenden Outfits – ausladende Kleidern bis strenge Männeranzüge – bekannt. Spätestens mit ihrem musikalischen Erfolg in den 80er Jahren kannte ihre Extravaganz keine Grenzen mehr. Ihr Stil könnte als Blaupause für den zeitgleich berühmt gewordenen Prince und die zehn Jahre später auftretende Björk gedient haben. Wie schon bei Freddie Mercury war die Botschaft eindeutig: Du kannst alles tragen, wenn du es mit dem nötigen Selbstvertrauen tust. Davon rückte sie auch im fortgeschrittenen Alter nicht ab.

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Sänger Prince

Prince

Als Prince bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1985 den Preis für die beste Filmmusik entgegennahm, trug er einen schwarzen Hosenanzug, der von einem leuchtend lila Schal umsäumt wurde, und dazu High Heels. Bei Konzerten und in Videos trat er ebenso gerne in Kostümen auf, die jegliche Geschlechtergrenzen geradezu spielend hinter sich ließen und ebenso feminin wie maskulin wirkten. In seinem Hit „I Would Die 4 U“ sang er schließlich: “I’m not a woman / I’m not a man / I’m something that you’ll never understand.” Womit Prince sich selbst ziemlich gut zusammengefasst hat.

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Das Bild zeigt Annie Lennox auf der Bühne. Sie ist im Profil zu sehen, zeigt mit dem rechten Arm in eine Richtung und lacht herzlich. Sie trägt ein Jeans-Sakko mit roten Pailletten-Aufsätzen.

Annie Lennox

Als Sängerin der Eurythmics erregte Annie Lennox in den frühen 80er Jahren viel Aufmerksamkeit – was zu einem großen Teil an ihrer markanten Stimme, aber auch an ihrer Kleidung lag. Für sie waren die Anzüge, die sie oft trug, allerdings kein Spiel mit Geschlechterrollen. „Ich wollte als Performer kraftvoll herüberkommen, gleichberechtigt mit meinem Partner Dave Stewart“, erzählte sie in einem Interview. „Ich habe ja nicht nur Anzüge getragen, sondern alle möglichen Kostüme“.

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Sänger Boy George mit einem Mikrofon in der rechten Hand während eines Auftritts auf der Bühne. Er trägt ein gelb-schwarz gemustertes Sakko über einem bunten Shirt, einen gelben Hut und gelb-glitzernden Lidschatten.

Boy George

In den 80er Jahren verschwommen Geschlechtergrenzen auch im Mainstream-Pop zusehends, und Culture-Club-Sänger Boy George war eine der schillerndsten Figuren dieses Trends. Schon mit Anfang 20 formulierte Boy George im Song Kharma Chameleon eine Devise, an die er sich noch heute hält: Wer sich wie ein Chamäleon ständig seiner Umgebung anpasst, bekommt irgendwann vom Kharma die Quittung.

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Musiker Pete Burns

Pete Burns

„You Spin Me 'Round“ war der größte Hit der 80er-New-Wave-Band Dead Or Alive, und Sänger Pete Burns sorgte sicherlich dafür, dass sich nach ihm viele Menschen umdrehten. Gegen seinen androgynen Gothic-Look sah selbst Robert Smith von The Cure konservativ aus. Leider artete dieser Look bei Burns zur Besessenheit aus, diverse plastisch-chirurgische Eingriffe führten zu seinem Ruin und zu gesundheitlichen Problemen. Burns starb 2016 im Alter von 57 Jahren.

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Sänger Kurt Cobain vor dem Mikrofon während eines Auftritts

Kurt Cobain

„Wenn irgendwer von euch Homosexuelle, Menschen mit anderer Hautfarbe oder Frauen hasst: Bitte kommt nicht zu unseren Shows und kauft unsere Platten nicht“, sagte Nirvana-Frontmann Kurt Cobain einst. Auch sonst war Cobain überzeugter Feminist und trat gerne auch einmal in einem Kleid auf.

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Sänger Brian Molko während eines Auftritts auf der Bühne vor dem Mikrofonständer.. Molko ist von der Seite zu sehen, seine Augen sind dunkel geschminkt und er trägt einen In-Ear-Kopfhörer.

Brian Molko

Mitten hinein in den oft breitbeinigen Britpop-Boom platzte Mitte der 90er Jahren Brian Molko mit seiner Band Placebo. Molko trug oft feminine Outfits, war offen bisexuell und trug auch sonst eine mit viel Humor vorgetragene Gleichgültigkeit gegenüber Geschlechterrollen zum Ausdruck. „My computer thinks I'm gay / What's the difference anyway“ sang er in „Too many friends“.

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Sängerin Laura Jane Grace während eines Auftritts auf der Bühne. Sie steht vor einem Mikrofon und lächelt.

Laura Jane Grace

Die US-Punkband Against Me! existierte schon 15 Jahre lang, als ihre Sängerin Laura Jane Grace – damals noch unter anderem Namen und in einem männlichen Körper – bekannt gab, transgender zu sein. Interessanterweise brachte dies all jene Stimmen zum Schweigen, die Against Me! einst vorgeworfen hatten, zu kommerziell und „Mainstream“ zu sein. Heute ist die Band erfolgreicher als je zuvor.

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Big Freedia mit erhobener linker Hand in einem fransigen und rot schimmernden Pailletten-Outfit auf der Bühne.

Big Freedia

Die Rapper:in aus New Orleans ist wohl die erste Person, die wir gendern, obwohl es nur um EINE Person geht. Sie ist die bekannteste Stimme der gut gelaunten HipHop-Spielart Bounce aus New Orleans, bezeichnet sich selbst als schwulen Mann und schert sich nicht darum, mit welchen Pronomen er belegt wird. Big Freedia tritt in weiblichen Outfits mit langen Haaren auf, will das aber nicht als Drag oder Zeichen von Transsexualität verstanden wissen: In einem Interview mit LGBT Weekly sagte sie 2015: „Ich liebe meine weibliche Seite, sie ist die Diva in mir. Für mich ist Geschlecht ein Spektrum, mit sehr viel Grauzone in der Mitte.“

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Sängerin Lady Gaga mit hochgezogenem Mundwinkel und verwegenem Blick als ihr Alter Ego Jo Calderone

Lady Gaga

Mit „Born This Way“ schuf Lady Gaga 2011 eine der größten Hymnen für Diversität, und generell ist ihr ganzes Lebenswerk schon immer eine einzige Umarmung der Menschheit in all ihren Ausprägungen gewesen. Während ihre eigenen Outfits meist zwar exaltiert, aber doch feminin sind, schuf sie sich ein männliches Alter Ego namens Jo Calderone.

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Jaden Smith vor einer Wand aus weißen Rosen

Jaden Smith

Jaden Smith, längst aus dem Schatten seiner Vaters Will herausgetreten und als Schauspieler wie Musiker erfolgreich, trägt gerne Röcke und Kleider. In einem Interview sagte er dazu einst: „Ich werde ein paar Schläge einstecken. In fünf Jahren dann wird kein Junge mehr dafür geschlagen oder beschimpft, wenn er in einem Rock zur Schule geht. Weil es dann einfach nichts Besonderes ist.“

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Janelle Monaé posiert in einem engen schwarzen Top und silbernem Halsschmuck vor einer Fotowand

Janelle Monáe

Opulentes Abendkleid oder Hosenanzug – Janelle Monáe trägt beides und auch alles mögliche dazwischen. Ihre Outfits sind stets so stilvollendet wie ihr Funk-R&B-Soul-Mix. Monáe beschreibt sich als pansexuell und ihre eigene Geschlechtsidentität in einem Interview mit dem Magazin „Variety“ so: „Ich fühle mich weiblich, ich fühle mich männlich. Ich fühle diese Energie, die ich nicht erklären kann."

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Künstler:in Grimes steht dynamisch auf einer Bühne und singt in ein Handmikrofon. Sie trägt ein weißes Netzhemd, gelbe Schweißbändern an den Armen und auf ihrem Kopf eine dicke, rote Frottee-Schleife

Grimes

Indiepop-Künstlerin Grimes ist schnell genervt, wenn sie als weiblich bezeichnet wird. „Ich bewege mich in einem geschlechtsneutralen Raum, und bin ziemlich gleichgültig, welche Pronomen man für mich benutzt“, tweete sie einst. „Ich wünschte nur, ich würde nicht ständig als weiblich kategorisiert werden.“ Ihre Outfits bewegen sich derweil irgendwo zwischen schrill-weiblich, gothic und burschikos.

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Musiker Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst

Thomas Neuwirth

Schrille Auftritte ist man vom European Song Contest durchaus gewöhnt, doch Tom Neuwirth aka Conchita Wurst sorgte Beim ESC 2014 trotzdem dafür, dass die Zuschauer Augen machten. Im perfekten Abendkleid und mit langen, gewellten Haaren war er die perfekte Diva – mit Vollbart. „Rise Like A Phoenix“ hieß Conchita Wursts Song, mit dem sie den Wettbewerb gleich noch gewann. Der Präsident Weißrusslands forderte schon im Vorfeld einen Boykott des ESC, der angeblich zum „Brutherd der Unzucht“ verkommen sei, der frühere polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński beobachtete gar den „Verfall des modernen Europas“. Mit Udo Jürgens, Lady Gaga und Elton John war die Liste der Gratulanten allerdings deutlich glamouröser als die der Kritiker.

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Sängerin Halsey posiert vor einer Fotowand. Sie trägt große goldene Ohrringe und einen Mittelscheitel – der Ansatz ihrer langen schwarzen Haare ist in Regenbogenfarben gefärbt.

Halsey

Musikerin Halsey schafft es ebenso mühelos, Elektropop- mit Indierock-Einflüssen zu verbinden, wie sie es hinbekommt, sowohl sehr feminine als auch deutlich maskuline Outfits stilsicher zu tragen. Für das LGBTQ-Magazin Advocate schlüpfte sie Anfang 2020 in die Rollen von vier ihrer frühen musikalischen Vorbilder: David Bowie, Mick Jagger, Bob Dylan und Jimi Hendrix.

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Sängerin Héloise Létissier in seitlicher Pose am Mikrofon. Sie trägt einen schwarzen Anzug über einem lilafarbenen Hemd und drei edelsteinbesetzte Ringe an ihren Fingern. Ihre kinnlangen Haare sind streng nach hinten frisiert..

Héloïse Letissier

Schon bei ihrem Debüt trug Héloïse Letissier, die sich als Musikerin Christine And The Queens nennt, Anzüge. Für ihr zweites Album Chris aus dem Jahr 2018 trainierte sie sich größere Muskeln an und schnitt sich die Haare kurz. Sie liebt bei ihren Auftritten das Verwirrspiel aus breitbeiniger Macho-Pose und vermeintlich weiblichen Gesten und Details.

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  Texte: Christian Zeiser, Fotos: Getty Images