Veröffentlicht am 14. September 2021

Der Schöpfer der Regenbogenflagge

HISTORY

Am 25. Juni 1978 wurde ein heute weltweit bekanntes Symbol geboren. An jenem Sonntag fand die achte San Francisco Gay Freedom Day Parade statt, und zum ersten Mal wehte über den Tausenden von Menschen eine riesige Regenbogenflagge. Seit diesem Tag steht die ursprünglich achtfarbige Fahne für die Vielfalt der LGBTQ-Bewegung. Mehr als das: Der Regenbogen steht für die Vielfalt der Menschheit ganz allgemein – weshalb er auch Namensgeber und Symbol der Rainbow World ist.

Gilbert Baker steht vor einer riesigen Regenbogenflagge, die sich meterlang hinter ihm erstreckt und von mehreren Menschen gehalten wird
Gilbert Baker vor einer überdimensional großen Regenbogenflagge, die er 2011 für ein Pride-Event in Irland angefertigt hatte (Foto: Maxwell Photography)

Erschaffen hat die Regenbogenflagge Gilbert Baker, ein damals 27-jähriger, offen schwuler Ex-Soldat. Baker, 1951 in Kansas geboren, war von 1970 bis 1972 in San Francisco stationiert, als ebendort die Schwulen- und Lesbenbewegung ihren Anfang nahm. Also blieb er nach seinem ehrenvollen Ausscheiden aus dem Militärdienst gleich dort – pleite, aber voller Tatendrang. „Ich wollte wie David Bowie und Mick Jagger aussehen, aber ich hatte kein Geld“, erinnerte er sich später. Er brachte sich das Nähen bei, um seine eigene Kleidung zu schneidern – und er entwarf fortan Banner für Gay-Rights- und Antikriegsdemos.

Bald schon lernte er Harvey Milk kennen, einen in San Francisco lebenden Aktivisten, der später zum ersten offen schwulen Stadtrat der USA gewählt werden sollte. Milk und Baker wurden Freunde. Es war Milk, der Baker im Jahr 1978 bat, eine neue Flagge für die LGBTQ-Bewegung zu entwerfen. Bis dahin wurde häufig ein pinkfarbenes Dreieck als Symbol benutzt – das jedoch auch schon die Nazis verwendet hatten, um homosexuelle KZ-Insassen zu kennzeichnen. Milk wünschte sich ein weniger belastetes, fröhlicheres Symbol. Baker musste nicht lange überlegen: „Seit Menschengedenken ist der Regenbogen ein Symbol der Hoffnung“, erinnerte er sich. „Ein Regenbogen sollte unsere moderne Alternative zum pinken Dreieck sein.“

 

900 Meter Stoff, 5 Kilo Färbemittel, 30 Freiwillige

 

Binnen weniger Tage entwarf Baker die erste Regenbogenflagge, die an jenem warmen Sonntag im Juni 1978 zum ersten Mal über San Francisco wehte. 1000 Dollar hatte ihre Herstellung gekostet. 900 Meter Baumwollstoff und 5 Kilo natürliche Färbemittel wurden für sie verarbeitet. 30 Freiwillige hatten die beiden gigantischen Flaggen für die Parade genäht und handgefärbt. Hunderte Menschen trugen sie nun durch die Stadt.

„Der Regenbogen ist perfekt, weil er unsere Vielfalt in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Alter und so weiter widerspiegelt“, erklärte Baker später seine Wahl des Motivs. Bakers ursprünglicher Regenbogen hatte dabei acht Streifen, von denen jede Farbe nach Baker einen Aspekt der Gemeinschaft darstellte: Pink für Sex, Rot für das Leben, Orange für Heilung, Gelb für die Sonne, Grün für die Natur, Türkis für Magie, Indigoblau für den Frieden und Violett für den Geist. Weil pinkfarbener Stoff in der Herstellung zu teuer war und die Farben Türkis und Indigo optisch miteinander zu Königsblau verschmolzen, wurden daraus sechs. Da Gilbert Baker nie Markenrechte auf seine Schöpfung anmeldete, sondern den Regenbogen ganz bewusst als gemeinschaftliches Gut sah, existieren mittlerweile viele Abwandlungen seines ursprünglichen Entwurfs. Durch Bakers Verzicht auf Rechte konnte die Regenbogenflagge überhaupt erst zu dem weltweit bekannten Symbol werden, das sie heute ist.

Ab 1979 arbeitete Gilbert Baker bei dem Flaggenhersteller Paramount Flag Company und erstellte Flaggen aller Art, doch sein Lebenswerk holte ihn noch einige Male ein: Im Jahr 1994 kreierte er eine Regenbogenflagge von einer Meile Länge – zum 25. Jahrestag des Aufstands am Stonewall Inn, sozusagen der Geburtsstunde des Christopher Street Day, was ihm einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde einbrachte. Zehn Jahre später überbot er seinen eigenen Rekord und stellte eine Flagge von zwei Kilometern Länge her, die sich auf der Insel Key West vom Golf von Mexiko bis zum Atlantischen Ozean erstreckte.

Gilbert Baker starb am 31. März 2017 im Alter von 65 Jahren. Aus der San Francisco Gay Pride Parade wurde die San Francisco Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender Pride Celebration, die noch heute in jedem Juni stattfindet. Über ihr und allen LGBTQ-Paraden der Welt weht noch immer die Regenbogenflagge von Gilbert Baker.

 

"Performance, Protest & Politics" – unter diesem Namen läuft seit Ende 2019 im GLBT History Museum in San Francisco eine Ausstellung zu Gilbert Bakers Werk. Für sie haben Bakers Freund und Filmemacher Vincent Guzzone sowie die Kurator:innen Joanna Black und Jeremy Prince Material aus mehreren Jahrzehnten zusammengestellt. Dort ist auch die originale, achtfarbige Regenbogenflagge von 1978 zu sehen.