Veröffentlicht am 3. Dezember 2021
Auf Augenhöhe
Die Tage werden dunkler, es ist kalt und nass. Immerhin: Wenn die Temperaturen sinken, steigt das Bewusstsein für Obdachlosigkeit. Für die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben – und doch mitten unter uns, wie es häufig heißt. „Uns“ – wer soll das sein? Diejenigen, die ein Dach über dem Kopf haben? In der Rainbow World gibt es kein „wir“ und „die“. Wir alle gehören dazu. Manche schauen auf Obdachlose herab. Viele einfach weg. Als existierten sie nicht. Das Hamburger Ehepaar Britta und Heinz-Gerhard Wilkens hat mit dem Förderverein FRIENDS CUP e.V. ein Buchprojekt ins Leben gerufen, mit dem sie Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen auf der Straße leben, so begegnen wie es sich jede:r von uns wünscht: auf Augenhöhe.

Sie ist PR-Frau, er ist nach einer Karriere in einer großen Versicherung in Rente. Einen großen Teil ihrer freien Zeit spenden sie dem Ehrenamt, engagieren sich zum Beispiel seit vielen Jahren für die Bedürftigen-Weihnacht „Mehr als eine warme Mahlzeit“. Darüber hinaus unterstützt Heinz das DRK bei seinen Fahrten mit dem Obdachlosenbus, der Essen, Schlafsäcke und andere wohltuende Dinge dorthin bringt, wo sie gebracht werden. Dabei hat er viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt: Wie sah ihr Leben vor der Obdachlosigkeit aus? Was hat sie auf die Straße gebracht? Wovon träumen sie?
Zehn von ihnen hat Heinz im Buch „Auf Augenhöhe“ portraitiert – eine Aufgabe, die ihn sehr bewegt hat: „Die verwundeten und wunderbaren Menschen, die uns ihr Vertrauen schenkten, uns ihre Erfahrungen ‚auf Platte’, in beengten und temporären Wohnverhältnissen sowie mit einem Leben am Existenzminimum offenbarten, haben unseren Blick nicht nur für das Leben auf der Straße, sondern auch für armutsbetroffene Gruppen nachhaltig verändert“, sagt Heinz. Neben den obdachlosen Menschen stellt Heinz' Frau Britta in dem Buch Prominente und Helfer:innen vor, die sich in der Obdachlosenhilfe engagieren – u.a. Sängerin und Moderatorin Fernanda Brandão, Sänger Johannes Oerding und Hamburg Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank.
Text: Anna Hesse; Bildtexte: Heinz-Gerhard Wilkens
Eine Auswahl der Porträts aus dem Buch "Auf Augenhöhe"
Elsa
Sie ist mit ihren 82 Jahren die älteste Verkäuferin des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Ihr Revier: die Kemenate in Hamburg-Eimsbüttel, ein Tagestreff für Frauen, der zu Elsas zweiten Heimat geworden ist. Foto: Carlos Kella
Fernanda Brandão
Die brasilianisch-deutsche Sängerin, Tänzerin, Moderatorin und Fitness-Trainerin unterstützt neben dem indigenen Volk der Huni Kuin im brasilianischen Regenwald seit Jahren die Hamburger Bedürftigen-Weihnacht „Mehr als eine warme Mahlzeit“. Sie sagt: „Das Schicksal Obdachlosigkeit kann jeden ereilen, auch den jetzt noch finanziell gut Aufgestellten und psychisch Stabilen.“ Foto: Carlos Kella
Hristo
Er absolvierte als Torwart über 300 Spiele in der bulgarischen Fußball-Liga. Nach seiner Fehlinvestition in Finanzpyramiden stand er plötzlich vor dem Nichts. Doch in Hamburg fasste Hristo nach der Obdachlosigkeit wieder Fuß: auch als Torwarttrainer bei einem kurdischen Landesliga-Verein. Foto: Carlos Kella
Johannes Oerding
Der Musiker, Sänger und Songwriter hat mit „Blinde Passagier“ ein Lied geschrieben, dessen Inhalt viele Bedürftige auf sich beziehen. Er wünscht sich, dass sich Künstler noch stärker für die Ränder der Gesellschaft engagieren und dass die Unterstützung von Obdachlosen für die Zivilgesellschaft zur ganzjährigen Aufgabe wird. Foto: Carlos Kella
Jan
Der 75-jährige Holländer kann neben acht Jahren in Obdachlosigkeit weise auf ein bewegtes Leben zurückblicken: als Schauspieler, Marathonläufer, zweifacher Vater, Hinz&Kunzt-Verkäufer und Hobbymusiker. Foto: Carlos Kella
Katharina Fegebank
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin ist das Thema Obdachlosigkeit seit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit auf dem Mitternachtsbus der Diakonie bestens vertraut. Heute sieht es die zweifache Mutter auch als ihre Aufgabe an, bereits ihren dreijährigen Zwillingstöchtern einen empathischen Blick auf arme und oft ausgegrenzte Bürger mitzugeben. Foto: Carlos Kella
Jens
Seine optimistische Grundeinstellung hat ihn bislang durch ein hartes Leben getragen. Der Einzelkämpfer mit großem Herz kommt im Herbst 2021 nach unsteten Jahren endlich zur Ruhe: in einer der sechs Hinz&Kunzt-Wohneinheiten im Stiftsviertel in Hamburg-St. Georg. Foto: Carlos Kella
Lotto King Karl
Der Musiker hat mit „Hamburg, meine Perle“ eine überregional bekannte Hymne auf seine Heimatstadt geschaffen. Er musste im Rahmen der Corona-Krise erleben, dass auch Bekannte aus seiner Branche ihren festen Wohnsitz verloren. Mit seinem Engagement für die Bedürftigen-Arbeit des Fördervereins FRIENDS CUP e.V. möchte er Schwellen abbauen und sagt: „Man trifft das Leben dort. Das ist sehr wichtig.“ Foto: Carlos Kella
Lemmy
Der Ostfriese aus Wittmund hat die Hinz&Kunzt-Verkäufernummer 2600 und seinen Stammplatz beim Forschungszentrum DESY in Hamburg-Bahrenfeld. Der Bruch im Leben kam für den Vater dreier Kinder und zweier Enkelkinder zur Jahrtausendwende. Foto: Carlos Kella
Monika Kelting
Sie ist DAS Gesicht der spendenbasierten Obdachlosenhilfe des DRK-Kreisverbandes Hamburg Nordost, die sich das Motto „Moin Menschlichkeit“ gegeben hat. Die 75-jährige Mutter zweier Kinder und gelernte Fußpflegerin ist seit 2010 eine feste Größe in der Straßen-Obdachlosenarbeit, bestens vernetzt und beeindruckt durch ihre zugewandte, empathische, unermüdliche und verlässliche Arbeit. Sie ist ohne Übertreibung die Mutter Theresa der Hamburger Bedürftigenhilfe. Foto: Carlos Kella
Peter Schuldt
Der Komponist, Arrangeur und Bandleader ist mit „Gospel Train“ 2019 bei der Bedürftigen-Weihnacht in der Hamburger Fischauktionshalle aufgetreten. Seit zwölf Jahren gibt der Chor auch Benefiz-Konzerte für „Herz As“, eine Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose. Er sagt: „Wenn einem wirklich klar wurde, dass man im Leben sehr viel Glück hatte, hat man ein großes Bedürfnis, anderen zu helfen, die nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stehen.“ Foto: Carlos Kella
Der Erlös von "Auf Augenhöhe" fließt in die Bedürftigenarbeit des Fördervereins FRIENDS CUP e.V., der u.a. die Aktion „Mehr als eine warme Mahlzeit“ ausrichtet. Das Buch kostet 19,90 Euro und ist ab sofort im Buchhandel erhältlich. Toller wäre jedoch, ihr würdet das Buch direkt im Charity Shop bestellen, denn dann kommt der komplette Erlös ohne Abzüge sozialen Projekten zugute.